Bessere medizinische Angebote für Frauen und Männer

Am Weltfrauentag rücken unterschiedliche Chancen von Männern und Frauen in den Mittelpunkt. Diese bestehen in allen Bereichen – auch in der Medizin. Die Gendermedizinerin Margarethe Hochleitner spricht im Interview über Errungenschaften und Herausforderungen.

Wofür ist die Gendermedizin gut?

Gendermedizin soll bessere medizinische Angebote für Frauen und Männer schaffen. Alle schulmedizinischen Erkenntnisse sollen an allen Diversity-Gruppen geprüft werden. Bei Studien ist es etwa unverzichtbar, die Kategorie Geschlecht mitzudenken, Unterschiede zu erkennen und dementsprechend die medizinischen Angebote zu gestalten.

In der Vergangenheit hat sich etwa gezeigt, dass manche Medikamente, z. B. Antiarrhythmika (Medikamente zur Therapie von Herzrhythmusstörungen, Anm.) bei Frauen und Männern anders wirken, da es große Unterschiede im Reizleitungssystem gibt. Nicht nur das: Diese Medikamente haben Frauen massiv geschädigt. Das hatte Todesfälle zur Folge! Inzwischen sind diese Medikamente nicht mehr im Handel.

Auch beim Schlafmittel Zolpidem, dem damals in den USA meistverkauften Schlafmittel, gab es Zwischenfälle. Es zeigte sich, dass bei Frauen das Medikament in der Leber langsamer abgebaut wird – und die für Männer vorgesehene Dosis bei Frauen massive Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit zur Folge haben kann. Nachdem es zu Unfällen kam, wurde von der amerikanischen Zulassungsbehörde eine neue Untersuchung verlangt und es gelten nun für Frauen 5 mg als Maximaldosis, bei Männern nach wie vor bis 10 mg. Das war erst vor zwei Jahren.

Wie entstand die Gendermedizin?

Sie kommt ursprünglich aus der Women’s Health Bewegung der 1960er-Jahre. Damals wurden Medizindaten überhaupt nicht gegendert, inzwischen gibt es in allen Ländern Frauengesundheitsberichte und auch die Statistik Austria hat das „Geschlecht“ als Kategorie aufgenommen. Mittlerweile entwickelte sich aus Women’s Health und Men’s Health die Gendermedizin. Hier geht es um Frauen und Männer. Und in verschiedenen Bereichen der Medizin zeigen sich unterschiedliche Nachteile für Frauen oder Männer.

In welchen Bereichen gibt es denn Unterschiede? Wo sind Männer benachteiligt, wo Frauen?

Männer sind zum Beispiel bei Krebs benachteiligt. Sie erkranken häufiger und haben eine schlechtere Prognose. Das liegt auch am Immunsystem. Das weibliche Immunsystem ist aktiver, was auch am Östrogen liegt. Das ist günstig bei Krebs und Infektionserkrankungen, weniger günstig bei Autoimmunerkrankungen, wie Lupus erythematodes.

Dazu kommt, dass etwa Brustkrebs als rein weibliches Phänomen gilt. Wussten Sie, dass meist mehr Männer an Brustkrebs sterben als an Hodenkrebs?

Auch bei Osteoporose sind Männer klar im Nachteil, galt doch Osteoporose bis vor kurzem als reine Frauenkrankheit. Aber natürlich altern auch männliche Knochen und sehr viele Ursachen von Medikamenten wie Cortison bis diversen Krankheiten führen zu Osteoporose. Heute schätzen wir ein Drittel der Osteoporose-Fälle betrifft Männer! Eine Knochendichtemessung wird jedoch kaum bei Männern angewandt.

Bei Herzkrankheiten sind dafür Frauen schlechter dran. Hier zeigt sich, dass Frauen weniger Zugang zu Spitzenmedizin haben und es jedes Jahr mehr weibliche als männliche Herztote in Österreich gibt.

Der Geschlechterforschung wird häufig vorgeworfen, sie betreibe „Gleichmacherei“. In der Medizin ist offenbar das Gegenteil der Fall.

Die Genderstudies verfolgen einen ganz anderen, einen geisteswissenschaftlichen Ansatz – und sind auch ideologisch geprägt. Bei der Gendermedizin geht es um medizinische Fakten, um Hormone, Chromosomen, sekundäre Geschlechtsorgane. Wir stützen uns auf naturwissenschaftliche, messbare Erkenntnisse.

Wo gibt es Ihrer Meinung nach noch viel zu tun?

Derzeit ist es so, dass Medikamente zwar an Männern und Frauen getestet und auch getrennt ausgewertet werden müssen, aber das Geschlecht in der Grundlagenforschung noch keine Rolle spielt. Wird etwa ein Wirkstoff nur an männlichen Labormäusen getestet und zeigt keine Wirkung, wird er nicht weiter beachtet – selbst wenn bei Frauen die Ergebnisse ganz andere wären.

Laut EU-Recht können Patientinnen und Patienten eine Behandlung nach dem state of the art einklagen, aber es fehlen weitgehend noch gegenderte Richtlinien, Guidelines. . Es werden jetzt auf EU-Ebene Factsheets für Medizinpersonal aber auch Patientinnen und Patienten zu unterschiedlichen Erkrankungen, etwa koronare Herzerkrankungen, erarbeitet. Das erhöht den Druck, auch gegenderte Richtlinien zu Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation zu erstellen. Und das geht auf jeden Fall in die richtige Richtung.

Gendermedizin ist in der Pflichtlehre aller Gesundheitsberufe in Tirol bereits verankert: Medizinische Universität, AZW, FH Gesundheit, in der ÄrztInnenfortbildung und an den Universitätskliniken gibt es seit 20 Jahren ein Frauengesundheitszentrum als Anlaufstelle für Patientinnen. Aufgrund des hohen Patientinnenaufkommens wäre ein Ausbau dieser Ambulanz bzw. ein Angebot auch in den anderen Tiroler Krankenhäusern wünschenswert.

Danke für das Gespräch!

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Von in tirol kliniken